WAS MACHEN WIR HIER EIGENTLICH?

Was wir hier machen ist ja klar: Uns nackig. Wir wollen – neben sachdienlichen Motivationen rund um die Platte – mal transparent machen, was wir analogsoul-Menschen – als Musiker, Labelbetreiber, Art Director, Promoter und Booker in Personalunion – eigentlich so tun. Wie die Aufzählung dieser eigentlich getrennten Berufsrollen andeutet, ist diese Art zu arbeiten durchaus von Widersprüchlichen Zielen und Aufgabenstellungen geprägt. Deswegen ist RELEASING A RECORD für uns auch Gelegenheit, an der Stelle mal einen Schritt zurück zu treten und das Ganze etwas aufzudröseln.

 

Warum gründet man überhaupt ein DIY-Label? Eine wichtige Motivation für uns war und ist ideell: Wir wollen eine ziemlich hürdenlose Verbreitung von Musik, weil wir glauben, dass es sich in Zeiten des Internets auszahlt, auf Hörer aktiv zuzugehen. Damit gar nicht erst der Eindruck von überbordendem Altruismus aufkommt, sei darauf hingewiesen, dass die zweite wichtige Motivation zur Gründung eines eigenen Labels sehr banal war: Vor fünf Jahren hätte einfach niemand außer uns unsere Musik veröffentlicht.

 

Seine eigene Musik, oder die von Freunden, herauszubringen, klingt irgendwie ziemlich heroisch: Der Satz „Wir machen unser eigenes Label.“ ist quasi das verbale Gegenstück zum Johnny Cash-Mittelfinger für die Country-Musikindustrie. Das Ganze tatsächlich ernsthaft zu betreiben ist aber ziemlich bieder. Auch wenn man unabhängige Musiker unterstützen, und Platten dezent neben dem Mainstream herausbringen will, misst man sich zwangsläufig an Mainstream-Zielen: Plattenverkäufe, Followerzahlen, Gagen-Höhe, Rezensionen in meinungsbildenden Publikationen … – Der Musikmarkt ist in seinen Zielen und Funktionsweisen ziemlich unkreativ und unterscheidet sich nur marginal von anderen Branchen: Es geht darum, die Kohle für den Release wieder hereinzubekommen und vielleicht sogar mal ein paar Kröten über zu haben, um beim kommenden Release mal etwas vorfinanzieren zu können. Klingt eher nach Bilanzbuchhalter als nach Johnny Cash, oder? Das einzige was diese nicht-kreative Arbeit etwas kreativer macht, ist unsere chronische Kapitalknappheit. Wenn man nämlich wenig Geld zur Verfügung hat, um etablierte Öffentlichkeitskanäle via Werbung zu bedienen, muss man sich etwas ausdenken.

 


photo: tobias teickner

 

Unsere Arbeit ist deswegen häufig die kreative Verwaltung des Mangels und wir versuchen mit neuen Lösungen (Sie lesen gerade eine) irgendwie durch unsere Minimalkalkulationen zu kommen. Aber auch andere Tätigkeiten neben PR und Kapitalakquise verlangen Kreativität, gemeinsam mit den Künstlern sind wir ja auch Entwerfer: Mit Pressetext, Pressebildern, der Positionierung und vielen kleinen Entscheidungen formen wir ein Bild von Band und Release, das am Ende der Schlüssel für den Zugang zum eigentlichen „Produkt“, der Musik, sein wird. Deswegen machen wir bei analogsoul auch so viel selbst: Wir veranstalten Konzerte und booken für unsere Künstler, weil wir gemerkt haben, dass das Live-Erlebnis der Schlüssel zum Erfahren der Qualität unserer Musik(er) ist. Wir pflegen Kontakte zu freien Journalisten, Web- und Hochschulradios, weil wir aus eigener Anschauung wissen, dass diese Leute sich für gute Musik engagieren und ein gutes Gedächtnis haben. Wir sind Teil der „Blogosphäre“, weil wir gelernt haben, dass das keine passive massenmediale Öffentlichkeit ist, sondern eine Interaktionsform, die näher am Face-to-Face-Austausch ist, als mancher denkt. Kurzum, wir sind der Traum jedes Social-Media-Unternehmens-Kommunikations-Die-Welt-wie-Sie-sie-kennen-verändert-sich-Dozenten.

 

Dieser umfassende Ansatz, unsere Künstler in möglichst vielen Geschäftsbereichen (hatte ich erwähnt, dass wir auch Merchandise herstellen?) zu professionalisieren, bringt uns schneller als uns lieb ist an Grenzen. Wir sind keine Profis in vielen Dingen, die wir tun, wir sind im Wortsinne Amateure: Liebhaber. Neben unserem eigentlichen Job, gute Musik zu machen, suchen wir nach Möglichkeiten, diese auch selbst zu vertreiben. Und zwar aus Leidenschaft für diese Musik und für unsere Unabhängigkeit. Gepaart mit dem bereits beschriebenen Umstand, dass weder diese Arbeit noch dieser Markt besonders viele Verdienstmöglichkeiten bieten, ist ein zentrales Charakteristikum von DIY-Labels umschrieben: Sie finden in prekären Umfeldern statt. Prekär heißt nicht nur niedriges Einkommen, prekär heißt: vor einem Horizont aus Unsicherheit.

 

Wir verdienen unsere Miete in ohnehin schon als prekär gelabelten Jobs: Gastronomie, befristete Stellen im akademischen Bereich oder eben als selbstständige Kreative. Dazu kommt in der Freizeit die i.d.R. unbezahlte Arbeit für die eigene Musik. Unter der Woche wird im Brotjob gearbeitet, am Wochenende veranstaltet bzw. gespielt. Zwischendurch werden Mails geschickt & beantwortet, Bestellungen bearbeitet und die Steuer gemacht. Das soll kein Lamento oder Werben um mitleidige Schulterklopfer sein, sondern für die Umstände sensibilisieren. Es ist in unserem Kontext von Arbeit nicht unüblich, zehn Jahre lang nicht in den Urlaub zu fahren, weil dafür weder Zeit noch Geld da ist. Oder das Gegenteil: Vielversprechende Projekte enden abrupt weil jemand einen „richtigen“ Job findet, Eltern wird oder seinen Brotjob verliert. Die Limitierungen unserer alltäglichen Arbeit liegen selten in den Bands, der Musik oder der Hörerschaft, sondern in den wirtschaftlichen Randbedingungen der einzelnen Erwerbsbiographien. (Dieses Fass einmal aufgemacht, ließen sich – keine Ironie– spannende volkswirtschaftliche Diskussionen um Rentenbeiträge und bedingungsloses Grundeinkommen anschließen.)

 

Was wollen wir mit diesen Zeilen eigentlich sagen? Wir wollen zeigen, wie wenig selbstverständlich es nach differenzierter Marktlogik ist, DIY-Kreativarbeit zu leisten. So etwas wie unser Label und dieses Projekt hier auf die Beine zu bringen, scheint uns vielmehr Ausdruck einer gewissermaßen gegenläufigen Entwicklung zu sein. Eine Entwicklung, in der z.T. widersprüchliche Anforderungen in einzelnen Projekten und einzelnen Menschen zusammen fließen und ausgehandelt werden müssen. Und die vermutlich deutlichste Folge davon ist, dass diese Arbeit eine verdammt persönliche Sache ist. Auch das ist eine Motivation für dieses Blog und euer reges Feedback dazu tut gut.


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8 Antworten auf WAS MACHEN WIR HIER EIGENTLICH?

  1. Pingback: releasingarecord.de: Bemusterung, und: "Was machen wir hier eigentlich?" - recordJet Blog

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